Leitsätze
Der Nachweis, dass ein Prüfungsteilnehmer seiner Bearbeitung die internen Lösungshinweise zugrunde gelegt und damit über die Eigenständigkeit seiner Prüfungsleistung getäuscht hat, ist nach den Regeln des Beweises des ersten Anscheins erbracht, wenn die Bearbeitung nach Formulierungen, Aufbau und Gedankenführung weitgehend mit den Lösungshinweisen übereinstimmt und eine andere Erklärung als deren Kenntnis nicht in Betracht kommt.
Die Tatsachengerichte haben nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises erfüllt sind.
BVerwG, Beschl. v. 23.01.2018 – 6 B 67.17
I. Sachverhalt
Der Kläger will zwei schriftliche Aufsichtsarbeiten neu bewertet haben, für die der Prüfungsausschuss jeweils die Note „ungenügend (0 Punkte)“ festsetzte. Der Prüfungsausschuss hielt es aufgrund weitgehender inhaltlicher Übereinstimmungen für erwiesen, dass der Kläger die Lösungshinweise gekannt und damit über die Eigenständigkeit seiner Bearbeitung getäuscht habe.
II. Rechtliches
Das Oberverwaltungsgericht hat der Klage in Bezug auf die erste, nicht aber in Bezug auf die zweite Aufsichtsarbeit stattgegeben. Nach den Regeln des Anscheinsbeweises sei nur für die zweite Aufsichtsarbeit nachgewiesen, dass der Kläger darüber getäuscht habe, eine eigenständige Prüfungsleistung erbracht zu haben. Zwar stimmten die Bearbeitungen des Klägers in beiden Aufsichtsarbeiten nach den Formulierungen, dem Aufbau und der Gedankenführung weitgehend mit den nur für die Prüfer bestimmten Lösungshinweisen überein. Daraus könne aber nur für die zweite Aufsichtsarbeit der Schluss gezogen werden, dass der Kläger die Lösungshinweise gekannt und verwendet habe. In Bezug auf die erste Aufsichtsarbeit sei diese typische Annahme nicht gerechtfertigt, weil aufgrund der vorgelegten Unterrichtsmaterialien und Mitschriften ernsthaft möglich sei, dass die inhaltlichen Übereinstimmungen auf Kenntnissen beruhten, die sich der Kläger angeeignet habe. In Bezug auf die zweite Aufsichtsarbeit habe der Kläger keine aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt. Der Kläger konnte also nur für die erste Aufsichtsarbeit eine plausible andere Erklärung für die Übereinstimmung vorbringen.