Prüfungsanfechtung – die Möglichkeit, dem Prädikat als Zufallsprodukt zumindest entgegenzuwirken
„Zwei Juristen, drei Meinungen.“ Diese allgemein bekannte Redewendung wurde nun indirekt einer Prüfung unterzogen. Was viele Jurastudenten befürchten, hat eine Untersuchung an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) nun bestätigt: Die Note für ein und dieselbe Klausur schwankt im Schnitt um über 6 Punkte. Umso schlimmer also, dass die Karrierechancen von Jurist:innen maßgeblichen von den Noten abhängen.
Das Zustandekommen der Noten in den juristischen Prüfungen steht ohnehin bereits jahrzehntelang in der Kritik. Um die Frage der Objektivität bei der Bewertung der juristischen Klausuren ging es nun Clemens Hufeld, Doktorand an der LMU. Dabei beschreibt Objektivität, bis zu welchem Grad die erzielten Ergebnisse in den Klausuren unabhängig von den jeweiligen Votant:innen sind.
Gegenstand der Studie Hufelds waren 15 Bearbeitungen derselben Drittsemesterklausur im Verwaltungsrecht. Er bat 23 Korrektor:innen, je 10 Klausuren zu korrigieren. Insgesamt wurden so 230 Korrekturen erhoben, wodurch jede Klausur 15 oder 16 Benotungen erhielt. Pro Klausur lag die Notendifferenz zwischen vier und elf Punkten. Die Klausur, bei der die Korrektor:innen die geringste Abweichung hatten, bewegte sich zwischen zwei und fünf Punkten. Doch auch bei dieser Klausur hätte der Prüfling immerhin in 44 % der Bewertungen diese Klausur bestanden – mitunter sogar mit sieben Punkten. Auch aufschlussreich erscheint die Tatsache, dass zwei Drittel der Korrektor:innen in mindestens einer Klausur nur zwei Punkte vergeben haben. Null Punkte, ein Punkt oder 18 Punkte wurden hingegen nicht vergeben. Dies überrascht nicht. Es ist kein Geheimnis, dass die juristische Notenskala nicht voll ausgeschöpft wird.
Als besonders gravierend erscheinen aber die Ergebnisse zur durchschnittlichen Notendifferenz. Denn der Unterschied zwischen der höchsten und der niedrigsten Note über alle Klausuren hinweg beträgt 6,47 Punkte. Nach Hufeld zeigen die „Ergebnisse, dass die vorliegend gemessenen Bewertungen in sehr geringem Maß objektiv sind, sondern vielmehr von der korrigierenden Person abhängen“. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung (vgl. Beschluss v. 30.06.2015, Az. 6 B 11/15) klargestellt, dass der Erfolg in den Klausuren von Faktoren wie der individuellen Begabung, dem persönlichen Lerneifer und der Intensität der Vorbereitung abhänge. Laut Hufeld müsse in diese Aufzählung aber auch die korrigierende Person aufgenommen werden. Dies ist ebenfalls nicht überraschend. Denn gerade der Faktor Mensch ist – auf beiden Seiten – eine Fehlerquelle, so dass es sich immer lohnt, dieses Verfahren nach den Ursachen für das Nichtbestehen oder das Nichterreichen einer bestimmten Note zu überprüfen.
Mit Forderungen nach Veränderungen des Prüfungssystems ist Hufeld dennoch zurückhaltend. Dafür müssten die Ergebnisse der Untersuchung zunächst in anderen Rechtsgebieten, Abschnitten des Studiums und Arten der Korrekturen wiederholt werden. „Ohne die wissenschaftliche Untermauerung mit Daten zur aktuellen Prüfungsform und alternativen Prüfsystem, wäre jede politische Entscheidung ein Stochern im Nebel auf Kosten der Studierenden und der Rechtsstaatlichkeit“, so Hufeld. Dennoch besteht das derzeitige Prüfungssystem seit über 200 Jahren.
Aufgrund der hohen Bedeutung der Ergebnisse des Staatsexamens sollte daher Augenmerk darauf gerichtet werden, ob die Untersuchungsergebnisse sich auch auf Ebene des Staatsexamens bestätigen. Bis dahin bleibt den Studierenden im Nachgang an die Bekanntgabe der Ergebnisse lediglich die Möglichkeit offen, den Weg der Prüfungsanfechtung zu wählen, um die Bewertung ihrer Klausuren überprüfen zu lassen.
Sind Sie durch eine Prüfung gefallen oder halten die Bewertung Ihrer juristischen Prüfung für fehlerbehaftet, so können wir für Sie die Erfolgsaussichten einer Prüfungsanfechtung einschätzen und Fehler im Prüfungsverfahren oder in der Bewertung aufzeigen. Die Bekanntgabe der Abschlussnoten der Staatsexamina ist ein Verwaltungsakt, der einer rechtlichen Kontrolle und gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Daher besteht auch die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen und notfalls Klage zu erheben. Gern vertreten wir Sie in dem im Prüfungsrecht besonderen Überdenkungs- und dem sich ggf. anschließenden Klageverfahren.